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Poème Symphonique Für 100 Metronome - Raumversion (1962/1985)

György Ligeti

György Ligeti

Ti­tel der Com­pi­la­ti­on/des Albums: Poème symphonique für 100 Metronome
Ti­tel: Raumversion (Track 05)
Her­aus­ge­ber: Michael Frauenlob Bauer
Da­tum: 1969
Me­di­um: re­cord 30 cm
Cover: M.F. Bauer

 

Poème Symphonique Für 100 Metronome ist das provokanteste Werk von György Ligeti. Es entstand während seiner Auseinandersetzung mit der Fluxus-Bewegung und wurde zu einem Meilenstein der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Die Langspielplatte enthält zwei Versionen des Stückes, eine Kreisversion und eine Raumversion. Die beiden ca. 30 Minuten dauernden Aufzeichnungen erfolgten in der Nacht vom 25. auf den 26.11.1985 in der Dornbuschkirche in Frankfurt am Main. Zu hören ist hier die Raumversion.

Ligeti komponierte das Stück 1962 für einen Dirigenten, zehn Ausführende und hundert (mechanische) Metronome. Jede/r Ausführende ‚spielt‘ zehn Metronome. Zu Beginn der Aufführung werden die Metronome auf der Bühne von den Ausführenden aufgebaut – entweder im Kreis um die Mikrophone herum, oder nebeneinander aufgereiht – und auf verschiedene Tempi eingestellt und maximal aufgezogen. Dann gibt der Dirigent eine Pause von zwei bis sechs Minuten vor. Auf sein Signal beginnen dann die Ausführenden die hundert Metronome so schnell wie möglich in Bewegung zu setzen (idealerweise starten alle Metronome gleichzeitig) und verlassen die Bühne. Das Klicken der Metronome klingt zunächst chaotisch. Wenn einige von ihnen auslaufen, beginnen regelmäßige rhythmische Muster zu entstehen. Zwischen dem seltener werdenden Ticken ist immer mehr an Stille zu hören. Die Klangmuster scheinen sich allmählich zu harmonisieren, bis schließlich nur noch ein Metronom übrigbleibt und dann still wird. Dann betreten die Ausführenden wieder die Bühne.

Im Beiheft der CD-Neuaufnahme von 1995 berichtet Ligeti von der Uraufführung, bei der er sich selbst um die frisch aus dem Allgäu nach Holland gelieferten "Instrumente" kümmerte: "100 Metronome befanden sich transportgerecht verpackt in zehn gut zugenagelten Holzkisten, die in einem entlegenen Gang des Rathauses lagerten. Ich stand einsam vor den Holzkisten, allerdings mit Hammer und Zange bewaffnet. Das Öffnen der Kisten war kinderleicht, doch die Metronome (alle nagelneu) wurden sämtlich in aufgezogenem Zustand geliefert, so daß sie zunächst geöffnet und in Gang gesetzt werden mußten, damit sie abliefen. Selbst auf die schnellstmögliche Pendelzeit eingestellt, dauerte das Ablaufen eines vollständig aufgezogenen Metronoms fast eine gute halbe Stunde, was ich aber damals noch nicht ahnen konnte. Dann gab es noch die Schwierigkeit, daß die Aufziehschlüssel mit einem Klebestreifen fest am Boden eines jeden Apparats hafteten. Ich mußte also die 100 Schlüssel erst befreien und dann jeden separat auf die Aufziehwelle aufschrauben. Es war zwar schon September, doch die Sonne verbreitete noch immer glühende Hitze. Ich war vollkommen durchgeschwitzt, allein und in Panik: Wie sollte diese ganze Vorbereitung bis zum Beginn des Empfangs beendet werden, wie sollten die 100 Metronome, noch bevor die Gäste eintrafen, im Festsaal des Rathauses auf Podeste gestellt und mit schwarzen Stofftüchern abgedeckt werden, damit das Publikum nicht ahnen konnte, welche Art von Musikstück zur Aufführung kommen würde?"

Die Uraufführung von Poème symphonique, die 1963 als Abschlussveranstaltung der Kurse und Konzerte neuer Musik der Gaudeamus-Stiftung bei einem offiziellen Empfang im Rathaus von Hilversum stattfand, war ein Skandal. Nach der Aufführung protestierte das verwirrte Publikum, das keine Informationen darüber hatte, was es erwartete, lautstark. Auf Antrag des Senats der Stadt Hilversum wurde die am folgenden Tag geplante Fernsehübertragung abgesagt.

Ligeti betrachtete dieses Werk nicht nur als eine ironische Kritik an der zeitgenössischen musikalischen Situation, sondern für ihn richtete sich Poème Symphonique vor allem auch gegen alle Ideologien, insofern sie stur und intolerant gegenüber anderen seien. Er äußerte 1971 dazu, dass Radikalismus und kleinbürgerliche Einstellungen nicht so weit voneinander entfernt seien; beide würden die Scheuklappen der Engstirnigen tragen.

ATJ