Der italienische Dichter Filippo Tommaso Emilio Marinetti (1876-1944) war ein faschistischer Ideologe und Begründer der futuristischen Bewegung, der ersten historischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts in Italien.
Marinetti studierte Rechtswissenschaften in Paris, Pavia und Genua und entschloss sich, nach Abschluss seines Studiums 1899 eine Laufbahn als Schriftsteller einzuschlagen. Er zog nach Paris und war als Redaktionssekretär der Pariser Zeitungen La Vogue und La Plume tätig. 1905 siedelte Marinetti nach Mailand über und gründete dort die Zeitschrift Poesia. Diese Zeitschrift wurde zum Sprachrohr einer Gruppe junger Schriftsteller, die eine radikale Veränderung der italienischen Literatur forderten.
Marinetti schrieb 1908 das Manifeste de Futurisme bzw. das Futuristische Manifest, das am 5. Februar 1909 in La Gazzetta dell'Emilia in Bologna und am 20. Februar 1909 in französischer Sprache auf der Titelseite der französischen Tageszeitung Le Figaro veröffentlicht wurde. In elf Thesen erhob Marinetti den Anspruch, nicht nur eine neue Kunstrichtung, sondern eine alle Lebensbereiche umfassende Kultur aus der Taufe zu heben, die Kultur des Futurismus. Er rief u.a. dazu auf, alle Museen, Akademien und Bibliotheken zu zerstören, die für ihn „Friedhöfe vergeblicher Anstrengungen“ waren. Er verherrlichte vor allem die Gewalt und den Krieg. Marinetti war es zwar nicht gelungen, den Futurismus als offizielle Kunstrichtung des Faschismus durchzusetzen, er konnte ihn aber als wichtigste Stilrichtung des faschistischen Italiens etablieren. Der Futurismus diente der Vermittlung eines dynamischen, zukunftsorientierten Charakters des neuen Italiens.
Marinetti veranstaltete vor allem in Theatersälen in Norditalien Futuristische Abende, die mit der Herabsetzung der jeweiligen Stadt und der Beleidigung ihrer Honoratioren begannen. Es wurden Manifeste verlesen, futuristische Kunstwerke gezeigt, futuristische Musik gespielt sowie Ausschnitte aus futuristischer Theaterkunst geboten. Die Präsentationen hatten aus der Sicht Marinettis nur dann Erfolg, wenn es zu Tumulten kam, die von den Medien aufgegriffen wurden.
Marinettis Einstieg in die Politik fand 1918 mit dem Manifest der futuristischen politischen Partei und der Gründung der futuristischen Partei statt. Das Parteiprogramm enthielt Forderungen wie Abschaffung der Monarchie und des Papsttums, Vergesellschaftung von Grundbesitz, Großvermögen, Bodenschätzen und Wasser, die Besteuerung ererbten Reichtums, den Achtstundentag, gleiche Löhne für Männer und Frauen, Pressefreiheit, kostenlose Rechtsvertretung, Verbraucherschutz, Ehescheidung und einen stufenweisen Abbau des stehenden Heeres. Marinettis Bewegung stand unter dem Motto: „Die Kunst und die Künstler an die Macht“. Die Partito Politico Futurista oder Futurist Political Party ging nur ein Jahr später in Benito Mussolinis Faschistische Partei Italiens auf, die Marinetti ein Jahr später jedoch wieder verließ.
ATJ