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Art and Cultural-Historical Significance

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Zur Vollständigkeit der Sound Collection

Es handelt sich um die international umfangreichste und bedeutendste Sammlung zur Sound Art mit einem einzigartigen Umfang an akustischen Werken von den Anfängen bis in die 1980er Jahre. Werke aus den 1990er Jahren sind exemplarisch vorhanden. Eine Sammlung in diesem Umfang ist nur mit extremem Aufwand zusammen zu bringen. Die ersten Tonträger und visuellen Werke in der Sound Collection sind Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre entstanden.

Die Sound Collection besteht aus drei Bereichen: erstens Tonträgern, zweitens visuellen Arbeiten, drittens Dokumentation und Bibliothek.

Der erste Bereich umfasst ca. 1000 Künstlerschallplatten, Audio-CDs und Audio-Kassetten. Diese Tonträger weisen Klangwerke und Klangexperimente sämtlicher Kunstbewegungen von den 1920er bis zu den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts auf: Dadaismus, Futurismus, Fluxus, Lettrismus, Conceptual Art, Wiener Aktionismus, phonetische und Lautpoesie usw. Die Sammlung präsentiert zum einen Klangkunstwerke einzelner Künstler/innen von Joseph Beuys bis Andy Warhol und gibt zum anderen einen wichtigen Überblick über die Radiokunst und die Avantgardemusik seit den 1950er Jahren mit Arbeiten von John Cage bis Janis Xenakis. Alle bedeutenden Künstler/innen, die Werke der Sound Art schufen und in diesem Bereich experimentierten, sind mit ihren Werken in der Sammlung vertreten, so u.a. Georg Baselitz, George Brecht, Daniel Buren, John Cage, Hanne Darboven, Robert Filliou, Richard Long, Roman Opalka, Hans Otte, A.R. Penck, Dieter Roth, Eric Satie, Jean Tinguely, Andy Warhol, Lawrence Weiner. Die Sammlung an Tonträgern (Monografien und Kompilationen) wird vom Sammler inhaltlich untergliedert in „Sound Works, Language Art, Voices, Music, New Tendencies of the 80s and 90s und Covers by artists“. Der Gestaltung der Covers kommt unter dem ästhetisch bildnerischen Aspekt eine große Bedeutung zu.

Der zweite Teil dieser Sammlung internationaler Klangkunst enthält Kunstwerke, die auf visuellen Aspekten basieren, darunter zahlreiche Graphiken, grafische Arbeiten, Zeichnungen, Partituren, Plakate, Objektschallplatten, Klangobjekte und Unikate, die in direktem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Tons und Klangs stehen.

Der dritte Teil der Sound Collection schließt sowohl eine umfangreiche Dokumentation, als auch eine bibliographische Abteilung ein.

Die Vollständigkeit der Sammlung zeigt sich nicht in vollständigen Konvoluten von Werken einzelner Künstler/innen, sondern in der großen Anzahl verschiedenster Werke, die einen Überblick über alle Bereiche der Sound Art geben. Dennoch bestehen auch umfassende Werkkonvolute, beispielsweise zur „Selten gehörten Musik“ mit allen dazugehörigen Werken – Schallplatten und Plakaten –, oder den vorhandenen Ausgaben der Zeitschrift „Revue OU“ mit den Schallplatten zur Lautpoesie. Die besondere inhaltliche Breite und der komplexe Umfang wird im Kontext der Kunstströmungen deutlich, so sind beispielsweise für die Fluxus-Bewegung sämtliche Schallplatten, Singles und LPs, aber auch Fotografien, Objekte, Plakate, graphische Arbeiten, Partituren, Karten, Zeitschriften und Künstlerbücher, die sich mit Ton, Klang, Geräusch und Stimme auseinandersetzen, vorhanden.

 

Die Einzigartigkeit der Sound Collection

Die Einzigartigkeit der Sound Collection basiert auf der einen Seite auf ihrer besonderen Zusammenstellung und auf der anderen Seite auf außergewöhnlichen und sehr seltenen Werken sowie einigen Unikaten.

Insofern umfasst die Sammlung nicht nur in größerer Auflage erschienene Schallplatten, sondern auch seltene Editionen und Multiples, die zusammen mit graphischen Arbeiten in limitierter Auflage von 10 bis 50 Exemplaren erschienen sind. Einige Exemplare in der Sound Collection sind zum Teil die einzig noch bekannten und in ihrer ursprünglichen Form bestehen kompletten Exemplare. Dazu gehört die Schallplatte „Revolution per Minute“, deren Sonderausgabe mit signierten Grafiken erschien. Auch das Objekt „Violin“ von Joe Jones, von dem nur 11 Exemplare gefertigt wurden, sowie die Original-Collage von Eduard Bal. sind hier zu nennen.

In Abgrenzung zu Schallplattensammlungen international handelt es sich bei der Sound Collection um einen interdiszplinären und medienübergreifenden Bestand mit einer herausragenden Vielfältigkeit. Die Sound Collection hat ihren Fokus nicht nur auf Vinyl-Schallplatten, sondern deckt die Vielfalt der Sound-Arbeiten und ihrer Tonträger und somit das gesamte Spektrum von Künstlerpublikationen ab, einschließlich historischer Beispiele, etwa einer Vinyl-Schallplatte mit großem Durchmesser von etwa 40 cm, wie sie früher in Rundfunksendern verwendet wurden, – d.h. alle Formen von Künstlerpublikationen in Bezug auf den Sound sind vorhanden.

 

Die besondere Bedeutung der Sound Collection für Deutschland

Die Bedeutung für die Metropolregion Bremen basiert auf den zahleichen Klangkunst-Aktivitäten von Konzerten über Performances und Radiokunst bis hin zu Klanginstallationen, die seit den 1960er Jahren stattgefunden haben und sich in der Sound Collection wiederspiegeln. Die Klangkunst hatte für Bremen Metropolregion immer schon eine besondere Bedeutung, Künstler und Künstlerinnen wie Harald Falkenhagen, Christina Kubisch, Hans Otte oder Rolf Julius stellen wichtige Positionen in der internationalen Klangkunst seit den 1960er Jahren dar. Beispielhaft sind auch die Lesungen und Konzerte des Antiquariats Beim Steinernen Kreuz mit Ernst Jandl, Franz Mon oder Gerhard Rühm, der "Klangraum" von Hans Otte in der Weserburg / Museum für moderne Kunst oder die "pro musica nova", einer von Hans Otte bei Radio Bremen ins Leben gerufenen legendären Sendereihe, durch die Bremen in besonderer Weise europaweit mit der Neuen Musik und der Sound Art in Verbindung gebracht wird. Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren war Bremen für diese Aktivitäten weltweit bekannt, fast alle bedeutenden Künstler/innen oder Musiker/innen sind in Bremen aufgetreten. Viele dieser Werke sind auf Schallplatte oder Kassette erschienen und in der Sammlung vertreten, die insofern eine wichtige Bereicherung für das Selbstverständnis der Kunst- und Musikszene in Bremen und einen Teil seiner Geschichte darstellt. Der Erwerb der Sound Collection dient dem kulturellen Gedächtnis der Metropolregion und verortet die Aktivitäten in und um Bremen in die nationalen und internationalen Kontexte der Bewegung der musikalisch, künstlerischen Zusammenhänge des 20. Jahrhunderts.

Für die nationale Bedeutung der Sound Collection spricht, dass nicht nur sehr viele der Künstler/innen und Verleger/innen von Klangkunstwerken aus Deutschland stammen, sondern Künstler/innen aus aller Welt nach Deutschland kamen, wo sie mehr Erfolg hatten als in anderen europäischen Ländern oder den USA. Durch „pro musica nova“ in Bremen, die Studios für Elektronische Musik und Akustische Kunst beim WDR in Köln und die Musiktage in Donaueschingen wurde Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Mittelpunkt der Bewegung um die Sound Art und auch die neue Musik. So zeigt die Sound Collection nicht nur die herausragende Rolle Deutschlands in der internationalen Kunstwelt, sondern stellt auch ein wichtiges Stück der deutschen, als auch der internationalen Kunst- und Musikgeschichte dar sowie eine einzigartige Möglichkeit, eine derartige Sammlung für Deutschland erwerben zu können.

 

Die herausragende kulturhistorische Bedeutung der Sound Collection

Die Sound Collection zeigt den Einfluss der Kunst, der Pop, Barock und Neuen Musik sowie der experimentellen Literatur und der Medienentwicklung auf die akustische Kunst der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus spiegelt der Bestand die engen Verbindungen und Überschneidungen von bildender Kunst mit Design und Populärkultur in besonderer Breite, zum Beispiel mit den Covers von Andy Warhol, der für die Rolling Stones, Velvet Underground oder Diana Ross weltweit bekannte Alben visuell prägte. Populäre Bereiche wie Werbespot und Popmusik – hier vor allem der Video-Clip – schöpfen umgekehrt aus dem reichen Fundus, den die Avantgarden der Sound Art mit den Werken ihrer Experimentierfreudigkeit hinterlassen haben. Experimente und Arbeiten im Bereich der Sound Art haben die zeitgenössische Musik und Kunst deutlich beeinflusst. Bestimmte Aspekte der Gegenwartsmusik sind ohne sie undenkbar. Die Bedeutung der Sound Art liegt vordringlich darin, dass immer wieder neue Wege erkundet und Grenzen überschritten, neue Gebiete erschlossen sowie bestimmte Bereiche der Kunst von starren Zwängen befreit wurden.

Die besondere kulturhistorische Bedeutung der Sound Collection ist auch darin zu sehen, dass sie im Sinne der New Cultural History ermöglicht, kunst- und kulturgeschichtliche Forschung nicht nur auf hochkulturelle Kunst-Gegenstände zu richten. Die Schallplatten, Kassetten, CDs, etc. der Sound Collection sind als „Alltagsquellen“ Quellen der Kulturgeschichte, wodurch gerade auch Kunstwerke kulturgeschichtlich betrachtet werden können, von denen sich die traditionelle Kulturgeschichtsschreibung bisher immer deutlich abgrenzte, wie auch die traditionelle Kunstgeschichtsschreibung. Im Zentrum der kulturgeschichtlichen Analyse des Künstlerischen und Ästhetischen stehen die kommunikativen Prozesse gerade auch im Alltagsleben, die kulturelle Kreativität der Menschen in der Gestaltung ihrer Lebenszusammenhänge, ihrer kooperativen Werkprozesse und vernetzten Arbeitsweise. Hierzu bietet die Sound Collection einen großen Materialkorpus.

 

Die herausragende kunsthistorische Bedeutung der Sound Collection

Die außergewöhnliche kunsthistorische Bedeutung der Sound Collection ist darin zu sehen, dass sie die Geschichte der akustischen Kunst im 20. Jahrhundert erzählt bzw. abbildet und die Mediatisierung der Kunst dokumentiert, die Entstehung neuer Kunstformen in den 1960er Jahren darstellt und so die neuen Vorstellungen einer Demokratisierung der Kunst manifestiert.

Die Geschichte der akustischen Kunst bzw. der Sound Art beginnt um das Jahr 1913 als die ersten Werke von den Futuristen und Dadaisten geschaffen wurden. Zu den historischen Wegbereitern gehören u.a. Velimir Chlebnikov, Aleksei Krucenych und Vladimir Majakovskij mit ihren futuristischen Lautgedichten sowie Kurt Schwitters mit seiner Ursonate von 1924. Über die Werke der Gruppe Cobra und der Lettristen in den 1950er Jahren spannt sich der Bogen über die Fluxuskünstler, beispielsweise Ben Vautier und George Brecht mit ihren Happenings und Konzertpartituren, zu den Kunstströmungen der 1960er bis 1980er Jahre sowie zu aktuellen Positionen von Hanne Darboven, Gerhard Rühm, Nam June Paik, Terry Fox oder Lawrence Weiner mit Klangkunstwerken, Klanginstallationen und Klangobjekten. Die Künstler/innen nutzen für die Produktion und Verbreitung ihrer Werke Medien wie Schallplatten, Kassetten, CDs und so weiter. Die Vervielfältigung und Verbreitung von akustischer Kunst sowie die Ausrichtung künstlerischen Handelns und Verhaltens orientiert sich dabei an den Gesetzmäßigkeiten des Mediensystems. Der künstlerische Wandel vollzieht sich auf Grund massenmedialer Inhalte und Vorgaben und führt zu einer Medialisierung der Kunst. Diese wird durch die Medien vermittelt und wahrgenommen, wobei der Tonträger als Medium zum Kunstmedium, zu einer neuen medialen Kunstform wird.

Durch die von den Künstler/innen selbst konzipierten, produzierten, gestalteten, veröffentlichten und vertriebenen Werke entstehen neue Kunstformen wie die Künstlerschallplatte, die Audio-Kassette und Audio-CD von Künstler/innen. Sie erscheinen in Auflagen zwischen ca. 50 und 500 Exemplaren, sind leicht zu produzieren, günstig und mobil. Sie können jedermann zugänglich gemacht werden und führten zu einer (partiellen) Demokratisierung von Kunst. Diese neue Kunstauffassung fokussierte sich in der Ablehnung des Originals und in der Produktion vervielfältigter Kunstwerke, die für jedermann erschwinglich sein sollten. Die künstlerisch konzipierte Schallplatte oder Audio-Kassette steht dabei in der Tradition der künstlerischen Grafik, beide, die visuelle und die akustische Ebene ergänzen sich insofern in hervorragender Weise. Die Sound Collection vermittelt ein umfassendes Bild aller Formen der veröffentlichten und publizierten Kunst auf dem Gebiet der Sound Art des 20. Jahrhunderts

 

Die medienhistorische Bedeutung der Sound Collection

Die spezielle medienhistorische Bedeutung der Sound Collection liegt in ihrer Manifestation der Mediengeschichte und Medienentwicklung vom Radio über die Audio-Kassette bis hin zu den ersten digitalen Trägermedien und ihrer sozio-kulturellen Wirkungsgeschichte im 20. Jahrhundert.

In der Sound Collection manifestiert sich mit dem Vorhandensein aller relevanten Arbeiten und Tonträger, die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. Als das Medium der Verbreitung der sonoren Kunstwerke wird die Schallplatte zum wichtigsten Ausgangsmaterial, nicht nur hinsichtlich ihrer Wirkung als Tonträger, sondern ebenso in ihrer plastischen Wirkung. Als in den 1950er Jahren das Tonbandgerät und 1963 mit Philips EL 3302 der erste tragbare Kassettenrekorder auf den Markt kam, hat dies auch die Arbeitsweise von zahlreichen Künstler/innen international beeinflusst. 50 Jahre später wurde die Kassetten-Produktion eingestellt und eine Ära ging zu Ende. In den 1980er Jahren kommt die Compact Disc auf den Markt und verdrängt mit ihren unterschiedlichen Formen (CD, Mini-Disc, etc.) die Schallplatte und Audio-Kassette. Heutzutage erleben sie für einzelne Künstler/innen ein Revival. Seit den 1990er Jahren haben Internetstream, MP3-player und iPod die Tonträger verdrängt.

Dass Medien in der Kunst- und Kulturgeschichte eine zentrale Rolle spielen, und zwar als integraler Teil sozialer Wirklichkeiten, ist mittlerweile unumstritten. Das gilt nicht nur für ihre materielle Dimension und ihre jeweilige alltägliche Nutzung, sondern auch für ihren Einfluss auf Wahrnehmungen und soziale Praktiken. Das Fehlen geeigneter technischer Mittel stellte für die Entwicklung der Klangkunstwerke, wie für den Vertrieb, lange Zeit eine unüberwindliche Hürde dar. Erst in den 1950er und 1960er Jahren erfuhr die Klangkunst bzw. Sound Art mit der Entwicklung und Verfügbarkeit von Tonbandgeräten und später Kassettenrekordern neue Impulse. Die neue Technik bot nicht nur die Möglichkeit durch Verzerrungen, Überlagerungen oder Montagen von Klängen, Geräuschen und Stimmen neue Soundarbeiten entstehen zu lassen, sondern on demand unkompliziert und kostengünstig in kleinen Auflagen selbst zu vervielfältigen und institutionell unabhängig zu verbreiten. Für viele der Künstler/innen war die Veröffentlichung über Audio-Kassetten die einzige Möglichkeit ihre Klangarbeiten bekannt zu machen. Im Kontext der Radiokunst spielte die Audio Kassette ebenfalls eine wichtige Rolle, denn die Künstler/innen schickten sich nicht nur gegenseitig, sondern international auch privaten oder öffentlichen Radiostationen sowie kleinen Campusradios ihre selbst produzierten Kassetten mit ihren Klang- und Radiokunstarbeiten zu, häufig zum Senden ohne Copyright. So hat die Audio Kassette die Sound Art und Radiokunst über Jahrzehnte beeinflusst und entscheidend zu ihrer Entwicklung beigetragen.

 

 

Dr. Anne Thurmann-Jajes
Leiterin Zentrum für Künstlerpublikationen