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Kunstradio - Radiokunst

Kunstradio – Radiokunst, ORF Wien

Das ORF Kunstradio ging im Dezember 1987 als wöchentlicher Schauplatz von Radiokunst on air. Im Herbst 1988 veranstaltete das Kunstradio sein erstes internationales Radiokunst-Symposium begleitet von Performances und einer Installation im öffentlichen Raum. Ganz selbstverständlich hatten Künstlerinnen und Künstler begonnen, ihre Aktivitäten über die wöchentliche Sendung hinaus zu erweitern: in Form von Interventionen in das Programm anderer Kanäle des ORF oder in der Aneignung seiner Infrastruktur und der Netzwerke zwischen Hörfunk und TV, den regionalen ORF-Funkhäusern und schließlich auch zwischen den Stationen der Europäischen Rundfunk-Union, EBU, und ihrer Satelliten. Sehr früh zeigten Künstler*innen in solchen immer häufiger werdenden internationalen Projekten, in denen das World Wide Web eine zunehmend größere Rolle spielte, jene grundlegenden Veränderungen auf, die den Rundfunk unter dem Druck der Digitalisierung, der Konvergenz mit und der Re-Mediatisierung zwischen Medien in die heutige Krise geführt haben.

Zum Österreichischen Kunsttag 1984 entwickelte der steirische Künstler Wolfgang Temmel ausgehend von Paul Klees Paukenspieler eine partizipative Radioarbeit. Temmel bat den schweizerischen Kunstkritiker Markus Brüderlin (seit 2006 Direktor der Kunsthalle Wolfsburg), eine ‚Bildempfindung’ und eine ‚Bildbeschreibung’ zum Paukenspieler zu schreiben und zur Sendung aufzunehmen, ohne dabei den Namen oder den Werktitel zu nennen. Die Hörer*innen von Ö3, dem Popkanal des ORF Radios, wurden aufgefordert, das Bild nach Brüderlins Beschreibung zu malen. Viele Erwachsene und Kinder sowie ganze Schulklassen schickten ihre Paukenspieler-Bilder an die Radioredaktion. Temmels Radiobeitrag Der Paukenspieler fand in Form einer Intervention in das Programm anderer Kanäle des ORF statt.

Die Aneignung der Infrastruktur des ORF zeigte sich beispielsweise bei B. Fontana und seinem Landscape Soundings. Im Mai 1990 realisierte Bill Fontana zwischen den Natur- und Kunsthistorischen Museen Wien eine Live-Soundinstallation, für die Geräusche aus den über 30 km entfernten Donau-Auen bei Hainburg live übertragen wurden. Ein Abhörsystem in der Au registrierte 14 Tage lang rund um die Uhr sämtliche akustischen Signale und Daten in seiner Reichweite. Mit Hilfe von 16 Postleitungen und einer vom ORF errichteten digitalen TV-Richtfunkstrecke mit 16 Audio-Kanälen wurden die Signale live aus der Au zum Kahlenberg und von dort ins Kunsthistorische Museum übertragen. Die 14tägige Skulptur enthielt neben den realen Räumen auch den Radioraum.

Der Medienkoffer, in den Gottfried Bechtold 1972 Fotos, Dias, Film, Video, Tonband und – unter einer Straßenmarkierung – auch noch Fotokopien packte, kann heute als ein frühes Bild der einflussreichen Phänomene Mobilität und Medienkonvergenz gesehen werden.

Diese spielen im Ausstellungsbeitrag des Kunstradios eine wichtige Rolle. Dabei dominieren bei der Ausstellungspräsentation Dokumentationsmaterialien, unter denen anschauliche Videos von vernetzten Radioprojekten, beispielsweise zu Chipradio (1992) und Realtime (1993) sowie ihrer Vorgeschichte in der Telekommunikationskunst der 1970er/1980er Jahre zu finden sind. Eine Dokumentation der Projekte im Kontext der Telekommunikationskunst aus dem Archiv von Robert Adrian wird durch das Video Wiencouver IV ergänzt, das illustriert, wie Künstler*innen 1983 zwischen Wien und Vancouver, via Telefon Sound- und Video-Arbeiten austauschten. Solche Projekte verweisen, wie viele Arbeiten das bis heute tun, kritisch auf das verloren gegangene Kommunikationspotential des massenmedialen Rundfunks. Die von Tetsuo Kogawa gebauten Mikro-FM / Sender sind ein weiteres Beispiel dafür.

Als eigenes Genre der Radiokunst gilt das ‚Roadmovie’ in Form der Installation Radio von Helmut Mark oder mit dem Timelapse-Video einer Fahrt von New York nach Vancouver (Artist Run Limousine Collective, 2003) und ihren Radioversionen (Matt Smith). Ein Flugzeug-Objekt ist das Relikt eines mehrteiligen Projektes, in dem es Joachim Baur und Josef Klammer 1995 gelang, live aus dem Cockpit eines Passagierflugzeuges auf dem Weg von Frankfurt nach Hongkong in ein Kunstradio-Studio in Wien zu senden. Dieses Projekt verdeutlicht genauso wie Richard Kriesche's Performance RadioZeit mit Wettersatellit von 1988, das mit GPS ausgerüstete Audiomobile von Matt Smith und Sandra Wintner von 2003 - 2005 oder Rivers & Bridges von 1996, das beispielhaft für eine Reihe von seit 1994 auch via Internet weltweit vernetzten Projekten steht, dass Künstler*innen die Auseinandersetzung mit ‚Radio’ schon seit Jahrzehnten über eine ‚Art On Air’ im engeren Sinne hinaus erweitert haben. 

Manche der Arbeiten haben nur am Rande mit dem Kunstradio zu tun, andere wie der Medienkoffer oder die Telekommunikations-Projekte stammen von Künstler*innen, deren Kunstbegriff auf die Entwicklung des Kunstradios und damit auf die Radio-Arbeiten internationaler Künstler*innen großen Einfluss hatte.

Viele der genannten Arbeiten sind on line bei kunstradio.at zu finden. Im Katalogbuch RE-INVENTING RADIO – Aspects of Radio as Art werden einige der hier erwähnten Arbeiten durch zahlreiche weitere künstlerische und theoretische Texte kontextualisiert.

Heidi Grundmann und Elisabeth Zimmermann