Künstlerpublikationen: analog – digital!
Was sind digitale Künstlerpublikationen? Wie werden sie veröffentlicht und wie erscheinen sie als Kunstwerke? Was entsteht künstlerisch explizit als digitales Werk? Die Ausstellung Künstlerpublikationen: analog – digital! widmet sich diesen Fragen, die seit den 1960er Jahren künstlerisch relevant sind, in Zeiten der Corona-Pandemie jedoch eine weitere Aktualisierung erfahren.
Künstlerpublikationen: analog – digital! vermittelt einen Überblick über die Vielfalt der digitalen Bezüge, Medien und Formen von Künstlerpublikationen von 1965 bis heute. Gezeigt werden zum einen rein digitale Arbeiten. Zum anderen fokussiert die Ausstellung Werke, die sowohl als reales Objekt als auch in elektronischer Form erscheinen. Diese Formen und Medien haben sehr unterschiedliche Charakteristiken, die sie als Künstlerpublikationen, bei denen es sich um vervielfältigte, publizierte und veröffentlichte künstlerische Werke handelt, ausweisen.
Dem Thema entsprechend findet Künstlerpublikationen: analog – digital! sowohl als Kabinettausstellung im Zentrum für Künstlerpublikationen als auch auf dieser Website als Online-Ausstellung statt.
In der Kabinettausstellung sind die digitalen Künstlerpublikationen zu sehen, die mit einem analogen Ausdruck in Erscheinung treten. Gezeigt werden so frühe Computergrafiken von Frieder Nake und Miroslav Klivar sowie von Marikke Heinz-Hoek. Es sind ebenfalls Künstlerbücher zu sehen, die auf Computerarbeiten basieren, so von Timm Ulrichs, Pavel Petasz, Paul Heimbach und Marikke Heinz-Hoek.
Der belgische Künstler Guy Bleus, der früh schon in der Mail Art aktiv war, hat die E-Mail als künstlerisches Medium für sich genutzt und versucht, das Künstlernetzwerk der Mail Art über eine E-Mail Kunst weiterzuführen. Seine Arbeiten hat er von 1994 bis 1997 in der Zeitschrift E-Pêle-Mêle veröffentlicht, einem Electronic Mail Art Netzine.
Parallel zur Netzkunst entstanden Ende der 1990er Jahren zahlreiche von Künstler*innen gestaltete Multimedia-Editionen. Marikke Heinz-Hoek veröffentlichte künstlerische Arbeiten als Diskette und Jenny Holzer einen Bildschirmschoner auf CD-ROM. Weitere Werke sind beispielsweise polyphemus‘ eye and other projects (1997) von Concha Jerez und José Iges, outline (1999) von Peter Downsbrough und “kill the poem“ (2000) von Johannes Auer und Reinhard Döhl. Unter dem Label ZKM Digital Arts Edition veröffentlichte das ZKM eine ganze Reihe von Multimedia-Editionen von Künstler*innen, darunter (dis)Locations, 2001, The complete artintact, 2002 sowie Cross Currents (1999) von Dennis Del Favero und Bleeding Through (2003) von Norman M. Klein. Von Muntadas erschien 1999 die Edition Media, Architecture, Installations.
Im Sinne von digitalen Editionen ist der Bildskispringer von 2016 von Jean-François Guiton zu sehen, ein Bildschirmschoner für Applecomputer. Die Edition funktioniert jedoch nur in Verbindung mit der Hardware.
Künstlerbücher, Künstlerzeitschriften und Grafiken, die digital zum Print on Demand (POD) angelegt sind, erscheinen als analoge Objekte, die auf Abruf produziert werden. Zu den frühen Werken, die über Plattformen wie Lulu.com entstanden sind,gehört das Künstlerbuch The Longest Day (2007) von David Horvitz, der den blauen wolkenlosen Himmel über Los Angeles dargestellt hat. Weitere Werke sind von Silvio Lorusso und Giulia Ciliberto, die 2011 mit Blank on Demand das kleinste über Lulu.com zu produzierende Buch konzipierten, und Jean Keller, der 2013 mit The Black Book ein rein schwarzes Künstlerbuch schuf, das mit ca. 700 Seiten so viele Seiten umfasst, wie mit einer Druckerpatrone gedruckt werden können. Künstlerbücher, die über POD erscheinen und in der Ausstellung zu sehen sind, veröffentlichten auch Jonathan Hanahan, Angela Genusa, Ce Jian / Yuzheng Cheng, Antoine Lefebvre und Angela Washko. In der besonderen Funktion eines web-to-print veröffentlichen Künstler*innen einzelne ihrer Künstlerbücher und auch Grafiken zum Download und Ausdrucken – häufig gratis – auf ihren Webseiten. So veröffentlichte Jan van der Til das Künstlerbuch Book III mit einer dezidierten Anleitung zum Ausdrucken. Heman Chong veröffentlichte zwei grafische Poster zum Selbstausdrucken. Er forderte seine Follower auf Instagram nicht nur dazu auf, anlässlich der Wahl des Präsidenten in Singapur im Juli 2020 zur Wahl zur gehen, sondern auch sein Poster Who watches the watcher (2020), das er anlässlich der Wahl geschaffen hat, zu verbreiten und mit vielen anderen zu teilen.
In dieser Online-Präsentation sind diejenigen Werke zusammengestellt worden, die als rein digitale Arbeiten erscheinen und nur über das Internet selbst gezeigt werden können. Dazu gehören die digitalen Künstlerbücher und Künstlerzeitschriften, die von Künstler*innen gestalteten Websites und Social Media-Beiträge.
Digitale Künstlerbücher können zum einen auf der Basis von Webseiten entstehen, so die Arbeit Book VIII (j, a, n, v, a, n, d, e, r, t, i and l) von Jan van der Til, und zum anderen als PDF-Publikationen, so beispielsweise von Harmen de Hoop das Künstlerbuch BEELDEN VOOR ROTTERDAM von 2002. Die einzelnen Ausgaben der Zeitschrift Sync – an ongoing artistic journal in digitally published zines – von Andreas Bülhoff werden ebenfalls als PDFs veröffentlicht, während Zeitschriften von Dan Perjovschi direkt online erscheinen.
Von Künstler*innen konzipierte und gestaltete Websites können gleichzeitig als Archiv, Künstlerbuch, Netzkunst, Aktionsbasis und Kunstwerk betrachtet werden. Rhizomebook.com mit dem Untertitel Rhizomebook a Book by Jan van der Til ist ein digitales Künstlerbuch und gleichermaßen eine Webseite, die als Archiv, Buch, Katalog, Galerie, Portal, Verlagsseite, Shop und Werk funktioniert. Rhizomebook wird in einem fortlaufenden Entstehungsprozess weiter geführt und unterliegt so einem permanenten Veränderungsprozess. Die Website ABC Days. An Archive of Social Distance, 11 June – 9 July 2020 von der ABC [Artists’ Books Cooperative] und Wil van Iersel umfasst insgesamt 29 digitale Künstlerbücher. Insgesamt sind neunundzwanzig internationale Künstler*innen eingeladen worden, jeweils ein Buch zu produzieren. Voraussetzung war, es an einem bestimmten Tag während dieses Zeitraumes auf der Webseite hochzuladen und online zugänglich zu machen. Weitere als Kunstwerk anzusehende Websites sind von Helen Thorington, Paul Heimbach und Ben Vautier.
Die Nutzung von Facebook und Instagram wird immer häufiger von Künstler*innen für ihre Arbeit genutzt, aus Spaß an den sozialen Medien und/oder aus Marketinggründen. Darüber hinaus entstehen auch Posts, die aufgrund ihrer Konzeption als Kunstwerke anzusehen sind. So veröffentlichte der schwedische Künstler Jonas Dahlberg am 17.03.2020 auf seiner Facebookseite ein 0:39 min langes Video von einem Vogel auf einem Ast. Während der Corona Pandemie fügte er fast täglich ein neues, etwa einminütiges Video von Vögeln in seiner unmittelbaren Umgebung hinzu. Mittlerweile sind über 126 Videos auf Facebook und Instagram zusammengekommen, die alle einer gleichen Ästhetik folgen. Amalia Ulman veröffentlichte zwischen April und September 2014 auf ihrem Instagram-Account Fotos von sich in verschiedensten Situationen. In 178 Einträgen wird die stereotype fiktive Biografie einer jungen Frau im Sinne einer Instagram-Performace dargestellt. Dan Perjovschi, Heman Chong und Renee Carmichael haben ebenfalls die sozialen Medien und auch eBay künstlerisch genutzt.
Anne Thurmann-Jajes
Beteiligte Künstler*innen sind:
Artists’ Books Cooperative, Johannes Auer / Reinhard Döhl, Guy Bleus, Andreas Bülhoff, Renee Carmichael, Heman Chong, Concha Jerez / José Iges, Jonas Dahlberg, Peter Downsbrough, Dennis Del Favero, Andres Galeano, Angela Genusa, Jean-François Guiton, Jonathan Hanahan, Agnes Hegedues, Paul Heimbach, Marikke Heinz-Hoek, Jenny Holzer, Harmen de Hoop, David Horvitz, Ian Howard, Ce Jian/Yuzheng Cheng, Jean Keller, Norman M. Klein, Miroslav Klivar, Antoine Lefebvre, Silvio Lorusso/Giulia Ciliberto, Manfred Mohr, Muntadas, Frieder Nake, Susan Norrie, Dan Perjovschi, Pavel Petasz, Noah Travis Phillips, Jeffrey Shaw, Lim Shengen, Paul Soulellis, Jan van der Til, Helen Thorington, Amalia Ulman, Timm Ulrichs, Ben Vautier, Angela Washko, Peter Weibel und andere/ and other.